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„Eine wichtige Aufgabe und eine große Chance“

Erstellt von Pressestelle |

Oberbürgermeister Jan Rothenbacher stellt das Projekt „Provenienzforschung am Stadtmuseum“ vor – Kunsthistorikerin Esther Heyer prüft rund 250 Objekte, die während NS-Zeit in den Museumsbestand kamen.

„Es ist eine wichtige Aufgabe und eine große Chance“, beschreibt Oberbürgermeister Jan Rothenbacher die Provenienzforschung, die vor drei Monaten am Stadtmuseum gestartet wurde: Die systematische Prüfung der Herkunft von rund 250 Objekten, die zwischen 1933 und 1945 in den Bestand des Stadtmuseums übergegangen sind. Der Oberbürgermeister stellte das Forschungsprojekt und die Provenienzforscherin Esther Heyer M.A. bei einem Pressetermin im Stadtmuseum im Hermansbau vor. Bis Februar 2027 wird das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und von der Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern geförderte Projekt in Memmingen laufen. 

Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit erfordere Transparenz, stellte Oberbürgermeister Rothenbacher klar. „Man kann geschehenes Unrecht nur aufklären und lösen, indem man transparent damit umgeht. Wir wollen das Forschungsprojekt nutzen und uns für die Provenienzforschung aktiv einsetzen.“

In der Provenienzforschung werden Herkunft und Besitzgeschichte Kulturgütern und Kunstwerken erforscht, erläuterte Kulturamtsleiter Sebastian Huber. Vornehmlich gehe es um die Aufklärung von Besitzverhältnissen, die aus Unrechtskontexten hervorgegangen seien. „Wir beschäftigen uns mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Es geht um die Jahre 1933 bis 1945. Was haben wir in dieser Zeit in unseren Museumsbestand aufgenommen? Woher kamen diese Kulturgüter? Diese systematische Herangehensweise ist ein Novum für Memmingen“. Einzelfälle seien dagegen bereits in früheren Jahren aufgearbeitet worden wie im Fall der Glasnegative des Memminger Kaufmanns und Fotografs Julius Guggenheimer mit Aufnahmen der Memminger Altstadt und des Klosters Ottobeuren. 

Warum braucht es Provenienzforschung? Zum einen gehe es um die historische Wahrheit, erklärte Sebastian Huber. Jedes Objekt im Museum erzähle eine Geschichte der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger. „Ohne gründliche Provenienzforschung bleibt diese Geschichte unvollständig oder sogar verzerrt.“ Die Geschichte müsse so genau und ehrlich wie möglich erzählt werden. „Das ist nicht primär eine Frage der wissenschaftlichen Genauigkeit, sondern eine Frage des Respekts gegenüber den Menschen, die damals verfolgt wurden.“ Zum anderen gehe es um Gerechtigkeit und Verantwortung, führte Huber weiter aus. „Wir müssen davon ausgehen, dass mehrere unserer Kulturgüter im Museum NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter sind. Wir müssen gegen die Unwissenheit angehen, denn Unwissenheit darf unrechte Besitzverhältnisse nicht legitimieren.“

Grundlage für die Provenienzforschung in Memmingen bilden Quellenüberlieferungen in der Registratur bzw. den Arbeitsunterlagen des Stadtmuseums und im Stadtarchiv Memmingen, erörterte Provenienzforscherin Esther Heyer. Darunter sei ein Schlüsseldokument, das bereits kurz nach der Reichspogromnacht 1938 angefertigt wurde. „Es handelt sich um eine systematische Verzeichnung der jüdischen Bevölkerung von Memmingen und Fellheim mit Namen und Adressen mit dem Titel: „Beschlagnahme von Gegenständen bei Juden im Stadtgebiet Memmingen, historischen und künstlerischen Wertes.“ Einige dieser Objekte fanden Eingang in die Sammlung des Stadtmuseums Memmingen, für die Verwertung mancher Objekte wurde auch der regionale Kunsthandel hinzugezogen.“, erläuterte die Kunsthistorikerin. 

Esther Heyer promoviert derzeit im Themenfeld der Provenienzforschung am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München und widmet sich parallel bis 2027 mit einer halben Stelle dem Forschungsprojekt in Memmingen.

Für die Erforschung des historischen Kontextes stehen die Aufarbeitung der kulturpolitischen und personellen Netzwerke des systematischen lokalen Kulturgutraubs im Allgäu im Fokus sowie die Identifikation und Restitution von ehemals jüdischem Eigentum, dass sich im Stadtmuseum befindet aber auch in anderen öffentlichen Einrichtungen und im Kunsthandel aufgespürt werden könnte. „Auch gemeinsam mit der Memminger und Allgäuer Gesellschaft möchten wir vom Stadtmuseum Geschichten und Herkunftskontexte von Alltags- und Gebrauchsgegenständen aus privaten Haushalten diskutieren und gemeinschaftlich Aufklärung zur Sammlungsgeschichte betreiben“, erklärte Esther Heyer. Die laufenden Forschungserkenntnisse sollen sukzessive in Veröffentlichungen, Führungen, partizipativen Veranstaltungen und via Social Media präsentiert und zur Diskussion gestellt werden.

Ein Pentateuch und Künersberger Fayencen aus Privathaushalten jüdischer Bürgerinnen und Bürger - Provenienzforscherin Esther Heyer M.A. stellte Forschungsobjekte aus dem Bestand des Stadtmuseums vor. (Fotos: A. Wehr/ Pressestelle Stadt Memmingen)
Oberbürgermeister Jan Rothenbacher, Kunsthistorikerin Esther Heyer und Kulturamtsleiter Sebastian Huber erläuterten die beginnende Provenienzforschung am Stadtmuseum Memmingen.